Wer fängt Preisschwankungen auf?

Corona hat bereits für viele Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gesorgt. Nicht alle diese Veränderungen bleiben dauerhaft erhalten, wenn wir an Massnahmen wie die Homeoffice-Pflicht, an das Masken-Obligatorium oder die Einschränkungen im Gastgewerbe denken. Aber diese und andere Massnahmen haben stark in unser bisher gewohntes Leben eingegriffen, sodass es durchaus möglich ist, dass wir nicht mehr oder zumindest lange nicht auf den Stand wie vor Corona zurückkehren werden.
Neben den allgemeinen Coronaveränderungen, die für alle ersichtlich sind, gibt es derzeit weitere Entwicklungen, die nur indirekt mit Corona zusammenhängen, aber die Wirtschaft für wahrscheinlich längere Zeit beschäftigen und vor allem negativ tangieren werden. Immer mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit dringen nämlich Meldungen über teilweise massive Preissteigerungen bei Rohstoffen sowie über die Lieferschwierigkeiten bei Baumaterialien wie Holz oder Betonstahl, bei Dämmstoffen oder Kunststoffprodukten auf Erdölbasis.
Stellen Sie sich vor, Sie hätten nach reiflichen Überlegungen den Beschluss gefasst, auf einem leerstehenden Grundstück ein kleines Mehrfamilienhaus zu erstellen oder sich den Traum eines Eigenheims zu erfüllen. Die Situation schon vor Ausbruch der Coronapandemie erschien Ihnen günstig dafür, nicht zuletzt aufgrund der niedrigen Zinsen für Hypotheken. Die Offerten für das Bauwerk wurden im vergangenen Jahr unter Dach und Fach gebracht, die Baumaschinen sollten für den Aushub auffahren – da melden sich verschiedene Unternehmer, die von ihren Zulieferern die Botschaft über massive Preissteigerungen erhalten hatten.
Mit dem Problem der Preissteigerungen sind Sie nicht allein. Laut der Baustatistik wurden im Jahr 2020 insgesamt 626 Baubewilligungen erteilt, erheblich mehr als im Jahr zuvor, als 490 Baubewilligungen registriert wurden. Der Anstieg gegenüber dem Vorjahr ist laut Amt für Statistik vor allem auf den Wohnbereich zurückzuführen. Die geplanten Baukosten, wohl auf der Basis der damals üblichen Marktpreise errechnet, summierten sich auf 500 Millionen Franken. Man kann davon ausgehen, dass sich ein Teil der bewilligten Projekte noch in Ausführung befindet, womit Bauherren wie Unternehmer angesichts der Preissteigerungen bei den Baumaterialien vor grossen Problemen stehen.
Zu verkraften sind Preissteigerungen beim Bauholz von rund 30 Prozent, weil die Nachfrage aufgrund des Baubooms in China und den USA stark zugenommen hat. Die Nachfrage übersteigt aber auch weltweit bei anderen Baustoffen das Angebot, womit die Preise in die Höhe schnellen. Die erhöhte Nachfrage trifft teilweise auf Produktionskürzungen, die zu Beginn der Coronakrise vorgenommen wurden. Bis die Produktion wieder hochgefahren ist, wird es einige Zeit dauern. Deutlich höhere Preise treffen derzeit auch mit Lieferverzögerungen zusammen. Eine Kombination, die zu Mehrkosten in der Baubranche und zu Verzögerungen auf den Baustellen führt.
Experten rechnen damit, dass sich diese spezielle Situation an der Preis- und der Produktionsfront wieder beruhigen wird, wenn das Angebot an Baustoffen wieder steigt und die Lieferengpässe beseitigt sind. Allerdings gehen diese Experten aber auch von einer generellen Teuerung in der Baubranche aus, weil die Preise zwar wieder sinken würden, aber nicht mehr auf das Vor-Corona-Niveau. Wer bauen will, muss sich in Zukunft demnach auf ein höheres Preisniveau als bisher einstellen und entsprechend kalkulieren. Nicht so einfach ist es bei den aktuellen Bauprojekten, bei denen entweder Baustoffe fehlen oder Baumaterialien zu deutlich höheren Preisen geliefert werden. Oder bei Bauprojekten, bei denen die zeitliche Planung wegen den Störungen in der Lieferkette nicht eingehalten werden kann.
Eine schwierige Situation für Bauherren wie Unternehmer. Wer trägt die höheren Kosten? Können die Mehrkosten aufgrund des Baustoffmangels an die Bauherren überwälzt werden? Oder müssen die höheren Kosten für die Rohstoffe durch die Unternehmer getragen werden, die bei den Offerten noch tiefere Materialkosten kalkuliert haben? Wer trägt die Kosten, die durch Lieferverzögerungen entstehen, weil auf den Baustellen dringend benötigte Baustoffe fehlen und nicht weitergebaut werden kann?

Gastkommentar im Wirtschaftregional von Martin Meyer, Präsident der Wirtschaftskammer Liechtenstein