Seit diesem Frühjahr präsidiert Ado Vogt die Wirtschaftskammer Liechtenstein. Er zieht eine erste Zwischenbilanzund spricht über die Herausforderungen, welche das Gewerbe aktuell beschäftigen

Herr Vogt, Sie sind seit Mai Präsident der Wirtschaftskammer, also seit circa 100 Tagen. Wie lautet Ihre Zwischenbilanz nach diesen
paar Monaten?

Ado Vogt: Es ist eigentlich schon recht viel gelaufen in diesen 100 Tagen. Wir hatten mit der Lehrabschlussfeier einen grossen Anlass, der ein Highlight der Wirtschaftskammer ist. Wenn ich sehe, wie viele Jugendliche eine duale Ausbildung machen, tue ich das als Präsident der Wirtschaftskammer mit einem lachenden und einem weinenden Auge, denn es könnten natürlich noch viel mehr sein. Auch intern läuft zurzeit relativ viel. Wir haben regelmässig Sitzungen, in denen die wichtigsten Geschäfte besprochen werden. Zudem stehe ich täglich in Kontakt mit dem Geschäftsführer. Dabei kann ich auf ein extrem gutes und eingespieltes Team zurückgreifen, das mir sehr viel vorbereitet, weshalb ich Freiheiten habe, meine eigene Agenda zu setzen. Auch haben wir viele Gäste, die bei uns vorstellig werden.
Sind das die klassischen Aufgaben, die zum Amt des Präsidenten der Wirtschaftskammer gehören?
Es ist ein Teil davon, aber es gehört einiges mehr dazu. Wir haben die «Agenda Werkplatz 2025plus», die nicht von uns vorgegeben, sondern von Mitgliedern der Wirtschaftskammer in Gruppen ausgearbeitet wurde. Die Agenda beinhaltet einen bunten Strauss an Massnahmen. Meine Aufgabe ist es, die Umsetzung und die Überwachung der Agenda zu steuern. Worum geht es bei der «Agenda Werkplatz 2025plus» konkret? Was beinhaltet diese genau?
Viele Verbände kämpfen heute damit, nicht genau zu wissen, was ihre Strategie ist. Mein Vorgänger und das Team haben beschlossen, dass wir ganz konkrete Ziele erreichen wollen. Das sind etwa Themen, die jedem Gewerbler unter den Nägeln brennen; die Digitalisierung, die Rahmenbedingungen oder das Lehrlingswesen. Der Hauptfokus liegt darauf, wieder ein positives Image des Gewerbes nach aussen zu transportieren, vor allem in Bezug
auf die Lehrlinge. Bei jeder Diskussion sagen uns Schüler: «Ein Lehrberuf ist toll, aber ich möchte dennoch etwas anderes machen.» Hier braucht es eine andere Einstellung in den Köpfen von Eltern und Schulen. Man hat viele Chancen, wenn man einen Lehrberuf erlernt. Vor 40 Jahren hat man einen Beruf erlernt und diesen dann sein ganzes Leben lang ausgeübt. Heute ist die Durchlässigkeit so hoch, dass fast alle Wege offen sind. Wenn jemand motiviert ist und an sich arbeitet, kann er mit einer Lehre extrem viel bewegen. Das wollen wir mit der Agenda aufzeigen. Wir sehen überall, dass es in gewissen Lehrberufen extrem wenig Lehrlinge gibt. Um dem etwas entgegenzusetzen, braucht es aus meiner Sicht einen Imagewandel.
Warum wird aus Ihrer Sicht die Berufslehre inzwischen als nicht mehr attraktiv wahrgenommen?
Heute machen viel mehr Leute eine tertiäre Ausbildung als noch vor 20 oder 30 Jahren. Früher absolvierte man eine Lehre und anschliessend die Abendschule. Dadurch gab es immer Leute, die gute Praxisbezüge hatten. Das, behaupte ich, fehlt heute ein wenig. Es hat sich einfach gewandelt.
Es ist unsere Aufgabe, den Leuten wieder die Attraktivität der Berufslehre zu vermitteln. Wenn wir es nicht machen, wer sonst? Wichtig zu wissen ist dabei: Wer eine Lehre macht oder etwas lernt im Gewerbe, hat einen relativ sicheren Job. Die Konkurrenz ist viel geringer als wenn man studiert und dann bei einem Stellenangebot internationale Mitbewerber aus 30 oder 40 Ländern hat. Im Gewerbe gibt es nach wie vor viele Unternehmen mit Wachstumsbedarf,
der aber daran scheitert, dass zu wenig Personal vorhanden ist. Man ist im Grunde froh, wenn sich überhaupt jemand bewirbt.
Liegt der Mangel an Lehrlingen nicht auch am demografischen Wandel?
Ich denke schon. Aber wenn wir uns zurücklehnen und sagen, dass die Demografie schuld ist, können wir gleich aufgeben. Das ist nicht unser Ansatz. Wir wollen um die Lehrlinge und unsere Berufe kämpfen. Man darf nicht unterschätzen, dass der grösste Teil der liechtensteinischen Arbeitnehmer bei Kleinstbetrieben beschäftigt ist. Ich erlebe den Kontrast oft, wenn ich mit Kollegen aus Österreich oder der Schweiz spreche, wo die Wirtschaftskammer ein riesiges Konstrukt ist. Deren Mitglieder sind Betriebe mit Hunderten oder Tausenden von Mitarbeitern. Bei uns ist es der klassische KMUler, den man kennt, wenn man durchs Land fährt. Diese sind sehr fokussiert auf ihr Produkt. Sie schauen vielleicht zu wenig nach links und rechts. Was machen wir jetzt mit den Lehrlingen? Wir möchten unsere Unternehmer ein wenig wachrütteln, offener für Lehrlinge zu sein. Deswegen betreiben wir beispielsweise die Initiative 100pro. Mit dieser helfen wir kleineren Betrieben dabei, junge Leute in einer Verbundlehre bei zwei oder drei Betrieben auszubilden. Die Lehrlinge werden bei uns angestellt und wir übernehmen für sie die ganze Betreuung.
Nicht nur bei den Lehrlingen, auch bei den Fachkräften suchen viele Unternehmen händeringend nach Personal. Sie haben dies neulich auch im Magazin der Wirtschaftskammer angesprochen und gemeint, dass wir diesbezüglich auf ein noch grösseres Problem zusteuern. Was kann dagegen unternommen werden?
Zum einen – wie bereits erwähnt – die jungen Leute für den Lehrberuf zu begeistern. Zum anderen aufzuzeigen, dass auch Quereinsteiger bei uns gute Chancen haben. Jene, welche nach zehn Jahren in derselben Tätigkeit etwas Neues machen möchten, sind zum Teil nicht die schlechtesten. Ich glaube, dass in puncto Quereinsteiger beide Seiten oftmals offener wären, als man annimmt. Müssten die Unternehmer auch mehr tun, um als attraktive Arbeitgeber wahrgenommen zu werden?
Wenn man Mitarbeiter ausschliesslich durch Anreize für sich gewinnen kann, wird es irgendwann schwierig. In jedem Beruf gibt es Situationen, die
nicht so toll sind. Das geht uns als Arbeitgeber genau gleich. Es braucht manchmal auch den Willen, sich in schwierigen Situationen durchzubeissen.
Spüren Sie diesbezüglich eine Veränderung mit der sogenannten Generation Z? Oft heisst es ja, für diese stehe die Work-Life-Balance an erster Stelle und die Bereitschaft, sich durchzubeissen, sei verloren gegangen.
Nein, das glaube ich nicht, gerade wenn ich an die jüngste Lehrabschlussfeier zurückdenke, wie begeistert und motiviert die jungen Absolventen waren. Ich gehöre nicht zu denen, die behaupten, die jungen Leute heutzutage hätten nur noch die Work-Life-Balance im Kopf. Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf das Gewerbe?
Die Digitalisierung ist ein wichtiger Pfeiler für unsere Agenda 2025plus. Im Vergleich zu grossen Betrieben hinkt hier das Gewerbe ein bisschen hinterher. Als Wirtschaftskammer versuchen wir, dem entgegenzuwirken, indem wir konkrete Kurse anbieten. Aktuell haben wir einen Kurs über künstliche Intelligenz mit Chat GPT. Er läuft gut und die Nachfrage ist gross. Natürlich müssen die Kurse entsprechend gestaltet sein. Ein Universitätskurs fängt bereits auf einem viel zu hohen Level an. Wir versuchen Kurse anzubieten, die die Sprache unserer Mitglieder sprechen und einen direkten Nutzen bringen.
Ein weiteres Thema, welches Sie beschäftigt, ist die Bürokratie. Sie beklagen, dass es eine zunehmende Tendenz von staatlichen Regulierungen gebe, welche vor allem kleinere und mittelständische Betriebe sehr stark belaste.
Durch die Mitgliedschaft im EWR einerseits und dem Zoll- und Währungsvertrag mit der Schweiz andererseits haben wir von beiden Seiten Bestimmungen, die wir einführen müssen. Für einen Kleinstaat sind diese aber nicht immer grössenverträglich. Bei der Umsetzung dieser Bestimmungen versuchen wir, mässigend einzuwirken, damit sich die Rahmenbedingungen nicht verschlechtern. Ich denke, es gäbe Möglichkeiten für die heimische Politik, hier gewisse Stellschrauben zu lockern, ohne gegen ein Vertragsrecht zu verstossen. Grundsätzlich gehöre ich zu jenen, die sagen, eine nicht zwingend nötige Regulierung lässt man besser weg. Und wenn wir mal ein Gesetz wieder abschaffen könnten, wäre es vielleicht auch nicht schlecht. Ich weiss, der Trend der Politik geht in die andere Richtung, nicht nur bei uns im Land. Aber ich möchte nicht stranguliert werden von zu vielen Gesetzen und Vorschriften, denn das kostet alles Geld, Zeit und Nerven. Welche Möglichkeiten hätte denn die heimische Politik aus Ihrer Sicht konkret?
Nehmen wir als Beispiel die Einführung von Elternzeit und Mutterschaftsurlaub. Das ist eine Vorgabe vom EWR, welche Liechtenstein übernehmen muss. Und jetzt stellt sich einfach die Frage, wie setzen wir das um? Auf den ersten Blick mag das eine gute Sache sein. Aber auf den zweiten Blick gilt es zu bedenken, dass ein Mitarbeiter auch noch Ferien hat, und schlussendlich ist er dann lange Zeit abwesend. Und je kleiner ein Betrieb ist, desto schmerzhafter ist es für diesen. Ich sehe schon, warum diese Dinge kommen. Das mag auch Sinn ergeben, aber ich denke, man sollte darauf achten, wie die Ausgestaltung ist. Ein weiterer Punkt betrifft das Thema Krankentaggeld. Es ist ein extrem gutes System und eine wichtige Errungenschaft. Aber wenn man sich im Gewerbe umhört, ist es oft so, dass sich bei vielen Arztzeugnissen und Krankentage im Nachhinein die Frage stellt, wie sie zustande gekommen sind. Ich glaube, jeder Arbeitgeber kennt das. Und wenn man hier sagen würde, es muss einen Runden Tisch geben und es muss klar definiert werden, dass Krankentage für jene Leute sind, die es wirklich benötigen? Das Problem ist, der Unternehmer bezahlt dieses Geld ab dem ersten Tag, während die Versicherung die Kosten im Schnitt je nach Ausgestaltung erst ab dem 30. Tag abdeckt. Im Schnitt sind es also 30 Tage, an denen der Unternehmer das Krankentaggeld zu 80 Prozent bezahlt. Ich bin kein Marktliberaler, sondern ein Fan der kleinen Schrauben. Wir haben extrem gute Mechanismen im Land. Es geht mir nicht darum, das System komplett infrage zu stellen. Aber wenn man sieht, dass das System irgendwo nicht mehr ganz so funktioniert, wie es sollte, dann ist es ehrlicher, diese Dinge anzusprechen. Es ist aber auch wichtig, wie man es adressiert. Es soll nicht mit dem Hammer sein, sondern einfach das Anliegen auf den Tisch bringen, und dann kann darüber gesprochen werden. Wenn anschliessend kein Ergebnis zustande kommt, hat man es wenigstens versucht. Es ist die Aufgabe der Wirtschaftskammer, diese Probleme, welche die Gewerbler bewegen, zu adressieren. Damit zum Schluss wieder alle geschlossen hinter diesem System stehen.
Welche Forderungen haben Sie sonst noch an den Staat und die Politik? Welche Rahmenbedingungen brauchen Ihre Mitglieder, um erfolgreich wirtschaften zu können?
Grundsätzlich haben wir gute Rahmenbedingungen. Da müsste ich jetzt zu pessimistisch oder zu verblendend sein, um das zu negieren. Wir sollten schauen, dass wir bei der Regulierung auf die Bremse stehen statt immer nur einen Schritt nach vorn zu machen. Gerade kleinen Betrieben tut das unglaublich weh. Wichtig ist, bevor ein neues Gesetz oder eine neue Regulierung eingeführt wird, zuerst einmal den ganzen Zusammenhang zu analysieren. Es kann sein, dass gewisse Sachen theoretisch neutral finanziert sind. Aber das ist es für ein Gewerbe nie, wenn ein Mitarbeiter nicht arbeitet. Es wird sehr technisch diskutiert, das mag korrekt sein, aber die praktische Auswirkung für einen Betrieb wird zu wenig beachtet.
Interview von Tobias Soraperra im Wirtschaftregional am 6.9..2024