Ein Blick in die berühmte Glaskugel

Gastkommentar von unserem Präsidenten Dr. Martin Mayer im Wirtschaftsregional, 19.01.2024

Ein alter Traum der Menschheit ist es, jeweils zum Jahreswechsel die Zukunft vorauszusagen und treffsichere Prognosen zu erstellen. Viele sind daran schon gescheitert, wie meistens die
nachträglich erstellten Bilanzen zeigen, wenn die Voraussagen mit den tatsächlichen Ereignissen verglichen werden. Dennoch übt die Faszination für die berühmte Glaskugel eine magische Anziehungskraft aus.
Monica Kissling, die als Madame Etoile in die Zukunft blickt, prognostiziert eine Fortsetzung
des 2020 eingesetzten «fulminanten Epochenwandels»: Nämlich den Übergang von der Erd-Epoche in die Luft-Epoche nach 200 Jahren. Deshalb werde 2024 zu einem «Jahr der Erneuerung mit enormer Innovationskraft». Der Blick in die Glaskugel verrät ihr, dass Reformen angegangen, auch Fortschritte erzielt, vielleicht sogar bahnbrechende Entdeckungen gemacht werden.
Sollten diese Voraussagen eintreffen, hätten wir es mit einem höchst erfolgreichen Jahr 2024 zu tun. Ein Blick in die Altlasten verrät allerdings, dass diese nicht einfach von der Weltkarte verschwinden. Einige Probleme aus den letzten Jahren, lässt sich unschwer voraussagen, werden uns noch längere Zeit beschäftigen.
Der Ukraine-Krieg wird voraussichtlich noch nicht enden, sondern weiter viele Opfer fordern und zur Verwüstung des Landes beitragen. Ganz abgesehen von der Gefahr einer Ausweitung des Krieges auf umliegende Länder, die früher dem Sowjetreich angehörten. Im Nahen Osten könnte der Terror der Hamas und die folgende Terrorbekämpfung in Gaza den Auftakt zu einem neuen Nahost-Krieg
bilden, der auch deutliche Spuren in Europa hinterlassen würde. Ob die Piraterie gegen die
internationale Schifffahrt eingedämmt werden kann oder zu einer erneuten Störung der Handelsrouten mit Auswirkungen auf die Lieferketten führen wird, bleibt vorderhand offen. Wenn Frachtschiffe aus Sicherheitsgründen um Afrika herumfahren müssen, um von Fernost nach Europa zu gelangen, wird das zu Lieferengpässen und nachfolgenden Preissteigerungen führen.
Dass die verzögerte Lieferung von bestimmten Einzel- oder Ersatzteilen enorme Probleme verursachen kann, haben wir auch im Gewerbe während der Covid-19-Pandemie in verschiedenen Branchen erlebt. Ebenso sind gewerbliche Unternehmen mit enormen Preissteigerungen konfrontiert worden, die nicht einfach an die Kunden weitergegeben werden konnten. Die Unsicherheiten an der Preisfront sind ein
weiteres Thema, das unsere Wirtschaft im neuen Jahr beschäftigen wird. Zwar hat sich die Inflation im abgelaufenen Jahr nicht im befürchteten Ausmass entwickelt, doch gebannt ist die Gefahr eines neuen Schubs von Teuerung nicht.
Die Entwicklung in anderen Ländern, die teilweise mit hohen Inflationsraten zu kämpfen haben, ist ein Hinweis darauf. Ein Problem aus dem vergangenen Jahr ist auch der starke Schweizer Franken, der zwar Ferienreisen in den Euro- und Dollar-Raum für uns interessanter macht, auf der anderen Seite jedoch für die Exportindustrie zu einem Wettbewerbsnachteil wird. Zudem dämpft die schwache Konjunktur in verschiedenen Abnehmerländern die Nachfrage. Die Wechselkursentwicklung, begleitet von Wachstumsschwächen in einzelnen traditionellen Exportländern, wirkt sich nicht nur auf die Industrie aus, sondern auch auf Teile der gewerblichen Unternehmen, die direkt oder indirekt als Zulieferer tätig sind.
Sind die Prognosen für 2024 überwiegend abwartend bis pessimistisch, so gibt es aber auch Lichtblicke. Insbesondere für unser Land, das sich vor 100 Jahren mit einem Zollvertrag an die Schweiz angeschlossen hat – und damit den Schweizer Franken als offizielle Währung übernehmen konnte. Eine mutige Entscheidung von unseren Vorfahren, die damit den Grundstein für unsere Wirtschaftsentwicklung und
den damit verbundenen Wohlstand gelegt haben. Nach den hundert erfolgreichen Wirtschaftsjahren an der Seite der Schweiz können wir mit Zuversicht ein neues Kapitel aufschlagen – auf weitere Jahrzehnte guter Zusammenarbeit.
Selbst können wir ebenfalls beitragen für eine Fortsetzung dieser Erfolgsgeschichte: Wenn es uns gelingt, die liberale Wirtschaftsordnung zu erhalten, die wesentlich zum Aufbau des international konkurrenzfähigen Wirtschaftsstandortes beigetragen hat. Solange dies so bleibt, möchte ich die Prognose wagen, können wir mit Zuversicht in die Zukunft blicken.