Geht es nach dem Schweizer Bund, sollen im Euroraum gekaufte Waren bereits ab einem Wert von 150 Franken verzollt werden mĂŒssen.
300 Franken â dieser Betrag ist wohl allen, die regelmĂ€ssig ausserhalb der Landesgrenze einkaufen gehen, ein Begriff. Denn wenn ihre EinkĂ€ufe diesen Wert ĂŒbersteigen, mĂŒssen sie die in der Schweiz und Liechtenstein geltende Mehrwertsteuer bezahlen. Umgekehrt gilt: Werden die 300 Franken nicht erreicht, gehtâs mehrwertsteuerfrei zurĂŒck ins Heimatland.
Ein weiteres ZĂŒckerchen fĂŒr Einkaufstouristinnen und -touristen: Sie können die im Ausland bezahlte Mehrwertsteuer zurĂŒckverlangen, wenn ihre EinkĂ€ufe eine gewisse Bagatellgrenze ĂŒberschreiten. In Ăsterreich liegt diese bei 75 Euro. «Abstempeln lassen» heisst das Prozedere im Volksmund.
Diese Praxis stösst Liechtensteiner und Schweizer HÀndlern schon seit jeher sauer auf. Der Grund liegt auf der Hand: Durch den Einkaufstourismus wandert Kaufkraft ins Ausland, was obendrauf noch steuerlich
belohnt wird. Sven Simonis, VerbandsprĂ€sident des liechtensteinischen Handelsgewerbes, spricht von einer VergĂŒnstigung seitens der Politik fĂŒr den Einkaufstourismus: «Er wird durch das kostenfreie Abstempeln der Mehrwertsteuerformulare gewissermassen subventioniert.»
Die Schlagzeile, die am Montag im «Tages-Anzeiger» zu lesen war, dĂŒrfte darum die Detailhandelsbranche freuen: Der Schweizer Bund hegt PlĂ€ne, die Wertfreigrenze von 300 Franken auf 150 Franken zu senken. GemĂ€ss dem Bericht soll dieser Vorschlag bald in die Vernehmlassung gehen.
«Persönlich denke ich, dass sich nichts Àndern wird»
Ob und wie sich das auf das Verhalten der Einkaufstouristinnen auswirken wĂŒrde, ist aber noch offen. FĂŒr Simonis gleicht eine Prognose dem sprichwörtlichen Blick in die Glaskugel: Eine Senkung der Freigrenze könnte potenziell dazu beitragen, den Einkaufstourismus zu reduzieren, da höhere Kosten fĂŒr EinkĂ€ufe im Ausland entstehen wĂŒrden. «Persönlich denke ich aber, dass sich am Einkaufsverhalten nichts Ă€ndern wird.»
Weil Liechtenstein an das Schweizer Zollgebiet angeschlossen ist und das Land weitestgehend gleiche mehrwertsteuerrechtliche Bestimmungen aufweist, gelten fĂŒr Liechtensteiner Einkaufstouristen dieselben Regeln wie fĂŒr die schweizerischen. Vorangetrieben hat den Plan, die Mehrwertsteuer-Freigrenze zu halbieren, die Schweizer Finanzministerin Karin Keller-Sutter. Der Schritt, das Limit nach unten zu korrigieren â oder gar ganz zu kippen â, steht in der Schweiz schon seit Jahren zur Debatte. Dass es nun vorwĂ€rts geht, geht auf die Initiative der Kantone Thurgau und St. Gallen zurĂŒck: Sie forderten vor gut zwei Jahren mittels Standesinitiativen, dass die Wertfreigrenze von 300 Franken abgeschafft wird. Die Finanzkommission des Nationalrats hatte sich derweil dafĂŒr stark gemacht, dass die Freigrenze zumindest auf 50 Franken fallen soll.
Einkaufstourismus schadet einheimischen HĂ€ndlern
Handelsgewerbe-PrĂ€sident Simonis weist in diesem Zusammenhang darauf hin, welch schĂ€dliche Auswirkungen Einkaufstourismus fĂŒr den Handel im eigenen Land haben kann: «Die entstehenden Umsatzeinbussen können beispielsweise zum Verlust von ArbeitsplĂ€tzen fĂŒhren â weniger Einnahmen
bedeuten oft, dass Unternehmen weniger Mitarbeiter halten können.»
Der Kaufkraftabfluss durch den Einkaufstourismus hat sich zuletzt reduziert. Die aktuellsten Zahlen fĂŒr Liechtenstein decken den Zeitraum von 2015 bis 2020 ab: 13,6 Millionen gaben die liechtensteinischen
Konsumentinnen und Konsumenten laut einer Kaufkraftstrom-Analyse im Jahresschnitt in Ăsterreich aus. In der Vergleichsperiode von 2009 bis 2015 waren es noch 22,6 Millionen Franken gewesen.
Shoppen im Ausland hat an AttraktivitÀt verloren
Die UniversitĂ€t St. Gallen hat vergangenes Jahr in einer Studie berechnet, wie sich eine Reduktion der MehrwertsteuerFreigrenze auf 50 Franken auswirken wĂŒrde: Sie könnte den stationĂ€ren Einkaufstourismus
im grenznahen Ausland durchschnittlich um 32,6 Prozent reduzieren. «Die EinfĂŒhrung einer Freigrenze von 50 Franken wĂŒrde somit zu einer Reduktion des Einkaufstourismus im Umfang von 2,27 Milliarden
Franken fĂŒhren», so die Studenautoren.
Findet der Vorschlag von BundesrÀtin Keller-Sutter in der Vernehmlassung Anklang, wird die Freigrenze aber lediglich auf 150 Franken gesenkt. Ob das tiefere Limit die Einkaufsfahrten in den Euroraum eindÀmmen wird, wird sich erst noch weisen.
Der Schweizer Detailhandel verlor durch das Shoppen jenseits der Landesgrenze im Jahr 2022 rund 8,4 Milliarden Franken â damit entwickelt sich der Einkauf in stationĂ€ren GeschĂ€ften im Ausland nicht nur in
Liechtenstein, sondern auch auf Schweizer Seite rĂŒcklĂ€ufig.
Wirtschaftregional, 17.11.2023 von Valeska Blank