15. Jahre Wirtschaftskammer Liechtenstein

 

Für Präsident Martin Meyer und Geschäftsführer Jürgen Nigg hat die Wirtschaftskammer viel erreicht.In ihren Augen gibt es aber noch viel zu tun für den Verband – und es gibt Nachholbedarf auf politischer Seite.

Interview: Dorothea Alber Bilder: Tatjana Schnalzger und Daniel Schwendener, Wirtschaftregional, 09.09.2022

2007 wurde die Gewerbe- und Wirtschaftskammer (GWK) in eine privatrechtliche Organisation überführt. Nun besteht die Wirtschaftskammer seit 15 Jahren: An welches Ereignis denken Sie beide besonders gerne zurück?

Jürgen Nigg: Nach dem Wegfall der Zwangsmitgliedschaft haben wir damals des Öfteren gehört, die Wirt- schaftskammer sei ein Himmelfahrtskommando. Aber nach einer kurzen Überbrückungszeit zeigte sich schnell, dass die Wirtschaftskammer Fortbestand haben wird. Wir sind heute an einem Punkt an gelangt, an dem wir sehr stolz sein können auf einen Verband, der Gewicht hat und ernst genommen wird.

Martin Meyer: Es gibt einige bemerkenswerte Highlights in diesen 15 Jahren. So hat die Wirtschafts- kammer beispielsweise ein grosses Ausrufezeichen mit dem Lehrlingsverbund «100 pro» gesetzt, bei dem die Lehrbetriebe von einem vier- köpfigen Projektteam administrativ unterstützt und Lernende gefördert werden. Zudem sind wir ein starker Partner für die Gesamtarbeitsverträge und damit ein Garant für die soziale Sicherheit im Land.

Was ist der Wirtschaftskammer in den vergangenen 15 Jahren nicht gelungen, was in Zukunft erreicht werden soll?

Jürgen Nigg: Unser Ziel, die «Schallmauer» von 1000 Mitgliedern zu durchbrechen, konnten wir bisher noch nicht erreichen. Wir verzeichnen zwar jedes Jahr rund 50 bis 60 Neumitglieder, doch gleichzeitig erleben wir 40 bis 50 Abgänge aufgrund fehlender Nachfolgelösungen, wegen Betriebsschliessungen oder Konkursen. Eine grosse Enttäuschung war abgesehen davon die klare Absage des Volkes der Initiative «Familie und Beruf». Viele Verbände und die Grossparteien hiessen diese zwar gut, wir standen aber im Abstimmungskampf auf weiter Flur alleine da.

Sie erwähnten die Schallmauer von 1000 Mitgliedern. Die Sektion Gastronomie der Wirtschaftskammer fusionierte mit dem LHGV und verschwindet damit unter dem Dach der Wirtschaftskammer. Das ist eine Entwicklung, die den Verband nicht gerade stärkt?

Martin Meyer: Es ist ein Wertent- scheid einer Branche, unter welchem Dach sie tätig sein möchte. Wenn ein Branchenverband zum Schluss kommt, er kann seine Mitglieder besser oder anders vertreten, dann akzeptieren wir diesen Entscheid. Sektionen gehen, aber neue Sektionen kommen, die uns als starke Interessenvertretung wahrnehmen: Ein Beispiel dafür ist die Casinobranche. Zudem führen wir derzeit mit weiteren Branchen und potentiell neuen Sektionen vielversprechende Gespräche.

Mit welchen?

Martin Meyer: Das ist noch nicht spruchreif.

Es gibt einige Momente in den vergangenen 15 Jahren, die für Schlagzeilen sorgten: Die Wirt- schaftskammer rief 2016 zur Demonstration vor dem Regierungsgebäude auf, um gleich lange Spiesse für grenzüberschreitende Dienstleistungen zu schaffen. Sind das Momente, an die Sie besonders gerne zurückdenken?

Jürgen Nigg: Ja, absolut. Es gibt wahrscheinlich selten Arbeitgebervertretungen, die zum Streik aufrufen (lacht). Weil es damals in den vorangehenden Gesprächen nicht gelungen war, einen Konsens zu finden, wollten wir uns zusammen mit dem Gewerbe auf diese Weise Gehör verschaffen – mit Erfolg.

Wenn die Wirtschaftskammer also ausreichend Druck macht, findet sie Gehör bei der Politik und kann sich durchsetzen?

Martin Meyer: Ja, natürlich. Mit 900 Mitgliedern und etlichen strate- gischen Partnerschaften im Land ist klar: Wenn wir die Stimme für das Gewerbe erheben, wird das von der Politik, aber auch von anderen Unternehmen und Interessensgemeinschaften gehört. Die Organisation eines solchen Anlasses, wie wir ihn im Jahr 2016 auf die Beine gestellt haben, trauen wir uns jederzeit wieder zu.

Sie sagten in einem Antrittsinterview, die Regierung könne sich in Ihrer Zeit als Präsident warm anziehen. Was heisst das Versprechen konkret?

Martin Meyer: Ich konnte dieses Versprechen gegenüber unseren Mitgliedern bereits zum ersten Mal einlösen, wie die diesjährige Delegiertenversammlung zeigt. Ich vertrat eine zu 180 Grad andere Meinung als unsere Wirtschaftsministerin. So habe ich mich klar gegen die staatliche Verbotskultur ausge- sprochen, wie das Verbot von neuen Ölheizungen – und ich spreche mich gleichzeitig gegen eine Fotovoltaik-Pflicht aus. Wir stellen uns nicht gegen die Energiewende, allerdings muss die Regierung sinnvolle und zweckmässige Lösungen forcieren, offene Fragen beantworten sowie Härtefälle abfedern.

Warum sollte Liechtenstein die letzte Insel sein – zum Beispiel bei neuen Ölheizungen –, wenn doch die Nachbarstaaten ein Verbot aussprechen oder Grenzwerte setzen, die einem Verbot in der Praxis gleichkommen?

Martin Meyer: Da Liechtenstein energiepolitisch zu 80 Prozent von Importen aus dem Ausland abhängig ist, kann das Land schon ganz grundsätzlich keine Insel sein. Wir vertreten ganz einfach eine liberale Wirtschaftsordnung, in der staatliche Verbote nichts zu suchen haben. Aber nochmal: Wir tragen die Energiewende mit.

Was müsste sich abgesehen von der «Verbotskultur» Ihrer Ansicht nach von politischer Seite ändern oder welches Thema muss die Politik dringend anpacken?

Jürgen Nigg: Ein grosses Manko sehen wir in der beruflichen Weiterbildung. Die Mitarbeiter sind das höchste Gut und dementsprechend ist es auch wichtig, diese zu fördern. Das ist aber mit Kosten und Ausfalltagen verbunden, die gerade für kleine Betriebe vielfach eine Herausforderung darstellen. Hier würde ich mir eine grosszügige staatliche Unterstützung wünschen – zum Beispiel bei einem Teil der Kursgebühren oder in Form von Lohnersatzkosten. Wir sind eines der letzten Länder Europas, die berufliche Weiterbildung noch nicht staatlich fördert, während die Kantone in der Schweiz beispielsweise rund 50 Prozent der Kurskosten für die berufliche Wei- terbildung übernehmen.

Geht der Fachkräftemangel denn teilweise auf dieses Manko der staatlichen Förderung zurück?

Martin Meyer: Der Fachkräftemangel hat vielfältige Gründe. Grundsätzlich stellen wir fest, dass nicht nur das Gewerbe, sondern alle Branchen zu wenig qualifizierte Arbeitskräfte rekrutieren können – auch die Industrie und der Finanzdienstleistungssektor. Der demografische Wandel wird dieses Problem noch weiter intensivieren, da der Wirtschaftsstandort Liechtenstein wächst. Aus diesem Grund gilt es darauf zu achten, Arbeitskräfte im Inland auf ihrem Weg der Aus- und Weiterbildung zu fördern. Es besteht zwar Nachholbedarf, doch wir wollen auch zugute halten, dass wir mit unserem Anliegen auf offene Ohren stossen.

Sind Subventionstöpfe, bei denen Liechtenstein eher zurückhaltend ist, denn das richtige Mittel?

Jürgen Nigg: Die Rede wäre ja nicht von Honigtöpfen für die Wirtschaft. Der staatliche Auftrag sollte nicht mit der Grundausbildung enden, da Förderungen für Weiterbildung der ganzen Gesellschaft zugutekommen. Am Schluss ist es für den Staat deutlich teurer, wenn man Arbeitskräfte auf dem Abstellgleis «vergisst» und diese in die Dauerarbeitslosigkeit rutschen.

Martin Meyer: Der Staat soll dort fördern, wo es der Allgemeinheit und der Gesellschaft zugutekommt. Unabhängig davon, ob es eine zweckgebundene Förderung ist, ob Gelder projektgebunden vergeben werden oder ob es ein eigenes Budget für Aus- und Weiterbildung ist: Es geht am Schluss um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes.

Weiterbildung ist auch einer der wichtigsten strategischen Punkte der Wirtschaftskammer in ihrer Agenda «Werkplatz 2025 plus». Welchen Beitrag will der Verband selbst leisten?

Martin Meyer: Wir haben zum Beispiel eine sogenannte Weiterbildungsmatrix für unsere Mitglieder erarbeitet, um einzelne Karrierewege in Betrieben aufzuzeigen und Mankos der Mitarbeitenden in die- sem Punkt zu verdeutlichen. Über solche Instrumente werden wir un- seren Beitrag leisten.

Auf der Agenda «Werkplatz 2025 plus» stehen noch weitere Ziele. Wie wollen Sie diese erreichen?

Martin Meyer: Grundsätzlich sollen die Ziele der Agenda dem gesamten Werkplatz zugutekommen und nicht nur unseren Mitgliedern. Für uns ist es aber auch ein internes Arbeitspapier, welche neue Dienstleistungen wir anbieten möchten, wie wir uns weiterentwickeln und welche Services wir verbessern können. Wir haben verschiedene Handlungsfelder definiert: Wir wollen das Gewerbe beispielsweise fit für die Digitalisie- rung machen und den Handel beziehungsweise die Kaufkraft stärken. Zu jeder Zielsetzung wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die im Herbst ihre Arbeit aufnimmt.

Sie erwähnten die Kaufkraft. Wie wollen Sie diese stärken?

Martin Meyer: Wir verfügen über sehr viele positive Instrumente, wie Gutscheine oder den Liecoin. Unser Ziel ist es, diese Angebote stärker zu bündeln und so stärkere Anreize für das Einkaufen im Land zu schaffen.

Zum Abschluss noch eine Frage zum Jubiläum: Welches war Ihrer Ansicht nach eigentlich der grösste Erfolg in den 15 Jahren Wirtschaftskammer?

Jürgen Nigg: Der grösste Erfolg ist sicherlich einerseits, dass wir uns selbst finanzieren können. Anderer- seits werden wir eingebunden in wichtige Entscheidungen, in Gesetzgebungen und wir sind bei Krisengesprächen als Vertreter des Gewerbes, wie aktuell bei der Strommangellage, dabei.

Martin Meyer: Für mich ist der grösste Erfolg, dass die Wirtschaftskammer als Organisation gebraucht wird. Gerade in Krisensituationen und bei grossen politischen Themen sind wir als Vertreter der gewerblichen Wirtschaft der erste Ansprechpartner für die Regierung und die Amtsstellen und vor allem für unsere Mitglieder.

Interview: Dorothea Alber Bilder: Tatjana Schnalzger und Daniel Schwendener, Wirtschaftregional, 09.09.2022