Eindruck täuscht: Derzeit kein Bauboom

Das Bauvolumen hat gemäss Köbi Steiger, Präsident des Liechtensteinischen Baumeisterverbands, im zweiten Quartal 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 39,1 Prozent abgenommen. Nur einmal hat es noch ein kleineres Bauvolumen gegeben.

Das «Haus der Familie» in zentraler Lage in Schaan, das beinahe vollendete Gebäude an der Vaduzer Landstrasse in dem demnächst ein weiterer McDonald’s eröffnet werden soll, oder die im Entstehen be-
griffene neue Heimat der HPZ-Werkstätte «Protekta» – dies sind nur einige Beispiele für zahlreiche Bauprojekte, die derzeit das Landschaftsbild diverser Gemeinden prägen und den Eindruck vermitteln: In
Liechtenstein ist ein regelrechtes Baufieber ausgebrochen.

Genehmigten Projekte auf hohem Niveau

Doch stimmt diese Wahrnehmung offenbar nicht gänzlich mit der Realität überein: Köbi Steiger, Präsident des Liechtensteinischen Baumeisterverbands, erklärt auf «Wirtschaft regional»-Anfrage: «Der Eindruck täuscht. Die Bautätigkeit muss wetterbedingt in den wärmeren und trockenen Monaten ausgeführt werden und hat sich auf mehrere kleinere Baustellen verlagert. So kann der Eindruck entstehen, dass
überall gebaut wird.» Steiger nennt entsprechende Zahlen – so habe etwa das Bauvolumen im zweiten Quartal 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 39,1 Prozent abgenommen. «Da erübrigt sich die
Frage, ob wir in Liechtenstein einen Bauboom haben», so Steiger.

Ebenfalls könne aufgrund der genehmigten Projekte der Eindruck entstehen, dass es derzeit einen Bauboom im Land gebe. Denn gemäss entsprechenden Baustatistiken wurden etwa im Coronajahr
2020 seitens des Amts für Bau und Infrastruktur insgesamt 626 Bauprojekte bewilligt – über 130 mehr als noch 2019. Dieser Trend habe sich auch 2021 und 2022 fortgesetzt. So seien im vergangenen Jahr 660 Bauprojekte bewilligt worden und auch im laufenden Jahr verharren die bewilligten Projekte auf einem ähnlich hohen Niveau.

Dies möge auf den ersten Blick zwar nach viel aussehen, so Steiger, sei aber mit Corona sehr einfach zu begründen: «Die Bevölkerung hat sich viel mehr zu Hause aufgehalten und das öffentliche Leben wur-
de sehr stark eingeschränkt. Das hat dazu geführt, dass viele ihr Eigenheim umgebaut oder die Umgebung umgestaltet haben. Jede Anpassung, jeder Fenstereinbau, jede Pergola und jedes Schwimmbad benötigt aber eine Baubewilligung, wodurch die Anzahl der bewilligten Projekte gestiegen ist.» Die meisten Baugesuche werden gemäss den aktuellen Zahlen der Baubewilligungsperiode des zweiten Quartals 2022 aus Schaan (43 Baugesuche) eingereicht, gefolgt von Eschen (31) und Triesenberg (30). «Auffallend ist, dass Vaduz als bevölkerungsmässig zweitstärkste Gemeinde mit 18 Projekten im hinteren Mittelfeld aufgeführt ist», zeigt Köbi Steiger auf.

Der Statistik der bewilligten Bauprojekte ist ebenfalls zu entnehmen, dass es im Jahr 2022 eine Zunahme der privaten Bauprojekten (plus 46,7 Prozent) gegeben hat. Bei Industrie- und Dienstleistungsprojekten sei indes eine Abnahme von minus 52,4 Prozent verzeichnet worden. Der gesamte Rückgang bei den öffentlichen Auftraggebern entspricht gemäss Steiger gar einem Minus von 65,4 Prozent im Vergleich
zu 2021.

Bauvolumen so klein wie seit Jahren nicht mehr

Aber nicht nur die Anzahl der Projekte sei rückläufig, auch das Bauvolumen. Gemäss Steiger ist das Bauvolumen der bewilligten Projekte im Jahr 2021 mit 401,5 Millionen Franken so klein wie seit Langem nicht mehr. «In den vergangenen zehn Jahren hat es nur einmal ein noch kleineres Bauvolumen
gegeben, und das war im Jahr 2015 mit insgesamt 385,3 Millionen Franken», informiert der Präsident des Baumeisterverbands, der auch darauf hinweist, dass es für das Jahr 2022 noch sehr schwierig sei, eine
Prognose abzugeben. «Ich persönlich hoffe jedoch, dass wir das Bauvolumen vom vergangenen Jahr erreichen.»

Wirtschaftregional 02.09.2022 von Dunja Goop