«Die Spezialisierung im Gewerbe hat hierzulande schon lange stattgefunden, darum haben wir auch sehr viele sogenannte ‹Hidden Stars›»

Das Liechtensteiner Bau- und Baunebengewerbe befindet sich im steten Wandel und ist mit grossen Herausforderungen konfrontiert. Nebst mit Anbietern, die aus dem Ausland auf den Liechtensteiner Markt dringen, hat das Baugewerbe auch vermehrt mit Fachkräftemangel zu kämpfen. Lösungsansätze
müssen daher schon bei der Lehrlingsausbildung gefunden werden. Zum einen gilt es das Baugewerbe wieder attraktiver in den weiterführenden Schulen zu bewerben. Zudem öffnet eine fundierte Lehrlingsausbildung viele Chancen und Weiterbildungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt.
Das Interview mit Jürgen Nigg, Geschäftsführer der Wirtschaftskammer Liechtenstein, führte Lars Beck

Welches sind derzeit die grössten Herausforderungen, die das Bau- und Baunebengewerbe zu bewältigen haben?

Jürgen Nigg: Abgesehen vom Fachkräftemangel und der Frankenstärke existiert ein grosser Verdrängungsmarkt in Liechtenstein. Zudem drängen immer mehr Schweizer und Österreicher Unternehmer auf den Markt, was die Situation auch nicht besser macht. Dieser Umstand hatte in den letzten Jahren leider zur Konsequenz, dass die Preise stark gefallen sind. Für die Bauherren und die Konsumenten mag das erfreulich sein, aber für die Unternehmer fallen so beinahe keine Gewinnmargen mehr ab. Wenn es noch grössere Komplikationen am Bauwerk geben sollte, dann entsteht sogar ein Minusertrag. An diese Preisspirale hat sich nicht nur der private Konsument gewöhnt, sondern auch der Staat mit seinen Aufträgen. Die Preise sind in einigen Branchen bis um die Hälfte günstiger geworden im Vergleich zu vor fünf Jahren. Die Löhne sind durch Gesamtarbeitsverträge vorgeschrieben
und ein Lohndumping wird in Liechtenstein nicht akzeptiert.

Die Auftragsbücher der Unternehmer sind voll, trotzdem erzielen viele nicht den Gewinn, den sie budgetiert haben. Wie kann man dieser Spirale entkommen?

Es gibt solche, die sagen, ich bleibe knallhart und offeriere nicht. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, dass alle komplett mit Aufträgen eingedeckt sind, weil sie für jedes Bauprojekt offeriert und eingegeben haben. Es kann dann schon vorkommen, dass eine für ein Projekt beauftragte Firma plötzlich nicht über genügend Arbeiter verfügt. Diese Lücke muss dann mit
Leiharbeitern gefüllt werden, diese höheren Kosten wurden aber nicht einkalkuliert. Wenn sich diese Spirale nun so weiterdreht, wird es am Ende zu Fusionierungen oder Schliessungen
von Firmen kommen. Wir werden in naher Zukunft zwar keine Branche verlieren, aber es wird vermutlich weniger Firmen am Markt geben.

Preisdumping und Fachkräftemangel ist demnach ein Problem, das auch die Branche selbst verursacht hat. Welche Lösungsansätze müssen gesucht und welche Massnahmen ergriffen werden, damit das Gewerbe aus dieser Spirale herausfindet?

Die Krux ist, dass die Qualität trotzdem stimmen muss. Es stellt sich die Frage, ob diejenigen, die immer günstiger sind, auch genau das liefern, was sich der Kunde wünscht, oder eben
nicht. Dies stellt sich in der Regel meistens dann heraus, sobald die Baugarantie erloschen ist. Ich möchte jetzt niemanden beleidigen oder zu nahetreten. Aber beim Anstrich einer Wand
malt der Qualitätsmaler die Wand vier Mal. Es ist jedoch schwer nachweisbar, ob der andere Maler nur drei Mal gestrichen hat. Dafür hatte er aber ein Viertel weniger Material- und Zeitaufwand. Es sind ganz kleine Dinge, die sich im Preis widerspiegeln. Die verlangte Qualität geht aber auch einher mit gut ausgebildeten Mitarbeitern und diese haben ihren Preis. Die Unternehmer, welche nur auf Fachkräfte setzen, müssen dies auch in der Preis-Kalkulation berücksichtigen und das sollte allen Bauherren bewusst sein.

Ausbildung und Lehrlingsmangel sind immer wieder Thema im Bau- und Baunebengewerbe. Welche Anreize müssten geschaffen werden, damit wieder mehr junge Leute eine Ausbildung im Bau- und Baunebengewerbe absolvieren?

Man muss den Jugendlichen und den Eltern die Durchlässigkeit der dualen Ausbildung nahelegen, dass es sich bei einer Lehre im Baugewerbe nicht um eine Entscheidung fürs Leben handelt, sondern dass dies der erste Berufsschritt ist. Mit einer Ausbildung im Gewerbe kann man es bis zum Unternehmer schaffen. Es ist uns daher wichtig, Best Practice aufzuzeigen. Auf der anderen Seite müssen wir Kleinbetriebe motivieren, dass sie Lehrlinge ausbilden und nicht nur ausgebildete Fachkräfte abwerben und einstellen. Dafür bieten wir von der Liechtensteiner Wirtschaftskammer seit rund 10 Jahren ein sehr gutes Produkt an – die Verbundlehre mit 100pro. So können sich Kleinbetriebe zusammenschliessen und die administrative Last und Schulbetreuung wird von 100pro übernommen. Wir haben bereits sehr viele Jugendliche ausgebildet und führen aktuell 25 Lehrlinge in der Verbundlehre. Ein Handwerker bleibt nicht für immer auf dem Gerüst. Er wird Vorarbeiter oder Polier und in einem kleinen Betrieb wird er vielleicht sogar einmal die Firma übernehmen können, da die Nachfolgeplanung nicht immer geregelt ist.

Wer ist in der Hauptpflicht und was kann die Regierung bzw. der Staat dazu beitragen, dass das Bau und Baunebengewerbe wieder gesundet?

Zum einen ist es der demografische Wandel, zum anderen ist es die Globalisierung, die Öffnung gegen aussen hin, die Personenfreizügigkeit, das Internet oder die Frankenstärke. Jeder
kann auf den Markt dringen. Früher wurden die Aufträge nur im Land vergeben. Jetzt gelten die gesetzlichen Rahmenbedingungen des EWR, die nicht mehr geändert werden können. Aber die öffentliche Hand spielt insofern schon mit, indem sie nur auf preislich wirtschaftliche Angebote achtet und knallhart verhandelt. Es müssen andere Faktoren in Zukunft viel grösser gewichtet werden. Ein Lehrlingsbetrieb, der viele Lehrlinge ausbildet, sollte zum Beispiel Bonuspunkte bekommen. Das Land und der Staat sollen endlich Lösungen bringen, damit die Aufträge wieder im Land vergeben werden und das zu vernünftigen Preisen. Der Unternehmer sollte auch einmal etwas teurer offerieren können, aus dem einfachen Grund, weil man einheimische Mitarbeiter anstellt und ebenso Lehrlinge ausbildet. Es wird gleich mit Sparen argumentiert. Für vieles wird Geld ausgegeben, aber beim einheimischen Handwerker wird am Preis herumgeschraubt, genau bei dem, der hier seine Steuern bezahlt. Da ist sicherlich die Politik gefordert, gerade auch bei der Auftragsvergabe. Diese wiederum argumentiert, dass gemäss Statistik über 80 Prozent der Aufträge im Land vergeben werden. Das stimmt schon, aber zu welchem Preis? Die Aufträge müssen zu einem marktgerechten Preis vergeben werden. Und diejenigen ausländischen Firmen, welche einen Zuschlag erhalten, müssen auch rigoros hinsichtlich den gesetzlichen Bestimmungen kontrolliert werden. Zudem erwartet das einheimische Gewerbe auch das strikte Umsetzen der Initiative «Gleich lange Spiesse», bei welcher die Anzahl der Arbeitstage (90 oder 120 Tage) ausländischer
Firmen kontrolliert werden müssen. Eine Verlängerung dieser Einsatztage darf aus unserer Sicht nur im äussersten Notfall gewährt werden; wir hoffen das sehen die Ämter gleich.

Der Druck auf den Baustellen ist viel grösser geworden als früher. Weshalb ist es so, dass alles schon gestern fertig sein sollte?

Für jedes Projekt gibt es einen Terminplan und der steht. Jeder einzelne Handwerker ist ein Glied in der Kette. Wenn einer sich verspätet, verzögert sich das ganze Projekt. Als Beispiel:
Der Sanitärinstallateur braucht länger für den Auftrag, der Zeitplan des Einzuges aber bleibt. Das bedeutet, dass länger gearbeitet werden muss. Doch dann kommt die Gewerkschaft, die sagt, dass zu lange gearbeitet wird. Wenn anschliessend der Gipser warten muss, gibt es auch eine Verzögerung für den Maler. Wenn das Projekt beispielsweise zu einem Fixpreis einer Generalunternehmung übergeben wurde, wird auch gleich das Datum der Schlüsselübergabe zum abgemachten Preis bestimmt. Es wird nicht mehr bezahlt, aber auch nicht weniger, auch wenn das Objekt zu einem günstigeren Preis errichtet wird. Die Generalunternehmung schaut nur noch auf den Preis und den Termin. Jede Woche und jeder Monat, mit dem sich der Bau verzögert, muss die Generalunternehmung eine Konventionalstrafe bezahlen, was sie natürlich vermeiden will. Aus diesem Grund entsteht auch dieser Druck. Zum einen ist es der Zeitdruck und zum anderen der Preisdruck. Für den Bauherrn oder Investor ist dies natürlich erfreulich, für das Baugewerbe jedoch sehr schlecht.

Welche Massnahmen würden greifen, damit sich das Gewerbe gegenseitig unterstützt anstatt nur konkurriert?

Nicht das ganze Gewerbe in Liechtenstein konkurriert untereinander. Ich sehe diese eher als Mitbewerber. Sie schliessen sich auch vielfach zusammen. So werden mit andschlagqualität
in der Not auch Mitarbeiter untereinander ausgeliehen. Einige Unternehmen treten auch als Arbeitsgemeinschaften auf, gerade bei grösseren Projekten. Das Gewerbe hilft sich auch aus
mit Materialien und Gerätschaften. Ich würde sagen, es sind tolle Mitbewerber im liechtensteinischen Markt, die gegen die gleichen Probleme ankämpfen, und vielfach kreativ sind, was von aussen gar nicht so wahrgenommen wird.

Wäre der Weg einer Spezialisierung der Firma die beste Alternative, um dem Phänomen des Preisdumpings entgegenzuwirken?

Ich bin relativ nahe an diesen Unternehmen seit ich Geschäftsführer der Wirtschaftskammer bin. Diese Spezialisierung hat eigentlich schon lange stattgefunden. Daher haben wir sehr viele sogenannte «Hidden Stars». Das sind solche, die sich auf einen Fachbereich spezialisiert haben und so fast schon ein Alleinstellungsmerkmal haben. So kommen sich die spezialisten praktisch nicht mehr in die Quere. Oder es gibt solche, die nur Einzelanfertigungen machen und keine Massenproduktionen anbieten. So findet jeder seine Nische, hoffentlich.

Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft des Bau- und Baunebengewerbes?

Mein Wunsch ist es, dass es endlich in den Köpfen der Gesellschaft ankommt, dass die handwerklichen Berufe Traumberufe sind und keine Entscheidung für das ganze Leben, sondern der erste Schritt im Berufsleben. Die handwerklichen Berufe sind wirklich interessante und fortschrittliche Berufe. Gleichzeitig geben sie einen Riesenschatz an Lebenserfahrung in der drei- bis vierjährigen Lehre mit auf den Weg. Das Handwerk gibt es schon viel länger als die Industrie oder Berufe in der Finanzbranche und das Handwerk wird sie alle überleben, denn gebaut wird immer!

Veröffentlicht am 30.11.2018 in der Beilage”Baugewerbe ist gefordert” vom Liechtensteiner Vaterland