Werkplatz muss eine schwere Zeit überstehen

Trotz der Lockerungen nach dem Lockdown nimmt der Werkplatz erst langsam wieder Fahrt auf, während die wirtschaftlichen Folgen klarer werden. Wirtschaftsminister Daniel Risch, Jürgen Nigg als Geschäftsführer der Wirtschaftskammer, Brigitte Haas von der LIHK und Beat Gassner vom Baumeisterverband sprechen über die aktuelle Lage.

Die Coronakrise in Liechtenstein und was von ihr übrigbleibt. Was gibt es über den Istzustand am  9. Juni zu sagen?  Jürgen Nigg: Ich breche das Eis. Die Lockerungen im Gewerbe sind spürbar, die Unsicherheiten verschwinden langsam. Anfangs befanden sich viele Unternehmen im Handel, aber auch in der Gastronomie in Schockstarre. Aus Sicht der Wirtschaftskammer ist zwar eine Beruhigung eingetreten, glücklich über die Situation ist aber niemand. Es sind so viel Umsätze weggebrochen, welche die Betriebe gar nicht mehr reinholen können. In manchen Branchen befürchten ich, dass noch grosse Rabattschlachten anstehen. 

Brigitte Haas: Wir sind froh über die Lockerungen. In vielen Firmen kehren die Mitarbeiter aus dem Homeoffice wieder zurück an ihren Arbeitsplatz. Ein beträchtlicher Teil der Arbeitnehmer der Industrieunternehmen befindet sich in Kurzarbeit und wird auch noch in Kurzarbeit bleiben müssen. Wir sind daher auch dankbar, dass die Re­gie­rung die Entschädigung dafür vorausschauend bis auf den 30. September verlängert hat. Die Industrie war zwar nicht von den behördlichen Schliessungen betroffen. Dennoch: Die Lieferketten waren unterbrochen, und auch wenn die Produktion in China wieder angelaufen ist, sind nun Wartezeiten entstanden. Stark treffen uns auch die Investitionsgüter, da Investitionen aufgeschoben oder ganz auf Eis gelegt wurden. Wir merken verstärkt in der Automobilbranche, dass kaum Käufe getätigt werden und wir sehen keine Normalisierung. Ein anderes Thema, das derzeit auftaucht, sind Fragen rund um die Ferien. Was darf der Arbeitge­ber diesbezüglich von einem Arbeitnehmer verlangen. Muss er berichten, wo er seine Ferien verbringt, oder ist das ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte? An­gestellte aus der Risikogruppe möchten zudem wieder zurück an ihren Arbeitsplatz. Das sind Themen, die unsere Unternehmen derzeit beschäftigen. 

Können Sie die durchschnittlichen Umsatzeinbussen in den Industrieunternehmen beziffern? Brigitte Haas: Das ist sehr unterschiedlich. In einzelnen Ländern ist der Absatz um 90 Prozent eingebrochen, in anderen kam es zu weniger deutlichen Einbrüchen. Das Exportvolumen hat sich in vielen Ländern stark verringert. Viele Betriebe mussten daher Kurzarbeit einführen.

In Liechtenstein befinden sich rund 11 000 Angestellte in Kurzarbeit, so viel wie noch nie zuvor.  Daniel Risch: Ja, so etwas gab es noch nie. Es wurden rund 11 000 Personen zur Kurzarbeit angemeldet, und davon wurden per Anfang Juni für rund 7000 Arbeitnehmende Kurzarbeitsentschädigung von den Betrieben abgerechnet und von der ALV ausbezahlt. Es gibt Branchen wie das Bauhaupt- und -nebengewerbe, in dem man heute vielleicht noch nichts oder wenig von den Folgen des Corona-Lockdowns bemerkt hat. Es ist aber gut möglich, dass die Investitionsbereitschaft in absehbarer Zeit zurückgeht. Ich habe die Phase der Betriebsschliessungen im März, April und teilweise Mai und Juni oft als «Intensivstationsphase» für die Wirtschaft bezeichnet. Zu Beginn war auch die grosse Angst da, dass allenfalls die Grenzen zu Österreich ganz geschlossen werden könnten und unsere Wirtschaft ohne Grenzgänger auskommen müsste. Es hat Tage gegeben, an denen wir nicht wussten, wie es am nächsten Tag weitergeht und wie wir darauf reagieren werden. Wir wussten aber, wir müssen helfen, und das rasch. Jetzt sind wir nach dem Lockdown in einer zweiten Phase, einer Phase der Rehabilitation, in der alle gefordert sind, dass die Wirtschaft wieder zum Laufen kommt. Rückblickend bleiben für mich nach dieser ersten Phase zwei Elemente, die uns als Land stark machen. Einerseits ist das ganz klar die Diversifikation, die oft auch in normalen Zeiten gelobt wird, weil sie eine gewisse Stabilität verleiht und die in der Krise umso wichtiger ist. So steht heute unser Finanzplatz, aber auch das Baugewerbe sehr gut da. Das zweite Element sind die kurzen Wege, dadurch war die Regierung im engen Austausch mit den Verbänden sowie der Wirtschaft und wusste, wo Hilfe gebraucht wird. 

Jürgen Nigg: Als kurze Anmerkung: Es war schon erstaunlich zu sehen, wie gross Solidarität im Land gelebt wurde. Die Händler und die Gastronomen haben in dieser Zeit neue Ver­triebskanäle geschaffen, die von den Liechtensteinern genutzt worden sind. Das ist auch meine Hoffnung, dass dieser Zusammenhalt auch nach der Krise erhalten bleibt und dass Liechtensteiner im Land einkaufen. Ich bin überzeugt, dass viele gemerkt haben, dass es gar nicht so teuer ist und es auch total bequem ist. 

Herr Gassner, hat die Baubranche die Coronakrise überhaupt zu spüren bekommen? Beat Gassner: Bei uns im Bauhauptgewerbe ist die Krise spurlos vorbeigelaufen. Wir haben die Behinderungen nicht gross zu spüren bekommen. Klar, zum Teil konnten wir die Abstandsregeln nicht immer einhalten, aber im Bauhauptgewerbe in den Rohbautätigkeiten findet die Arbeit draussen auf der Baustelle statt, wo sich Abstandsregeln gut einhalten lassen. Bei der Rohbautätigkeit haben wir auch nichts gespürt von Auftragseinbussen. In den Innenausbauten sah es ein wenig anders aus, weil die Kunden keine Handwerker im Haus haben wollten. Die Handwerker im Bereich Heizung und Sanitär hatten also eher Probleme, weil Kundenarbeiten verschoben wurden. Bei uns im Bauhauptgewerbe muss ich sagen, dass die Investitionen früher aufgegleist worden sind. Die Budgets, die bei Land und Gemeinde gesprochen werden, werden auch realisiert. Es gibt einzelne Gemeinden, die ihre Projekte zurückgesteckt ha­ben. Ansonsten sind wir glimpflich davongekommen. Wenn sich jemand entschieden hat, in dieser Phase nicht zu bauen, spüren wir die Einbusse verzögert, etwa ein halbes Jahr oder ein Dreivierteljahr später. 

Viele werden es sich gut überlegen, ob sie nun auch Haus bauen wollen. Beat Gassner: Ein «gewöhnlicher» Arbeiter kann heute gar nicht mehr bauen, auch wenn er das Grundstück mitbringt, es wird langsam schwierig, das Eigenheim zu finanzieren, wenn nicht über genügend finanzielle Eigenmittel verfügt wird. In der heutigen Bautätigkeit fällt auf, dass vermehrt Mehrfamilienhäuser realisiert werden, Einfamilienhäuser können sich bald nur noch die Reichen leisten. Vermehrt werden auch Umbauten, Teilabbrüche und Aufstockungen gemacht. Für die Baubranche ist das Zinsumfeld ausschlaggebend. So lange die Zinsen tief sind und die Investoren bauen, werden wir profitieren. Andererseits mache ich mir Sorgen um den Leerbestand der Wohnungen. Was machen wir in fünf Jahren, wenn alles schon gebaut ist? 

Sie rechnen also im 3. oder 4. Quartal nicht damit, dass es zu einem Einbruch kommen wird? Beat Gassner: Nein, wir haben relativ viele Offerten und die Budgets vonseiten der Gemeinden und des Landes werden umgesetzt. Das Bauvolumen beträgt im Schnitt 450 Mio. Franken. Wenn es in dieser Höhe bleibt, dann sollte es für uns einigermassen gut bleiben.

Jürgen Nigg: Dort möchte ich kurz anmerken, dass bei diesem Schnitt von 450 Millionen vor allem mehr Wohnungseinheiten gebaut worden sind, das Investitionsvolumen aber gleich blieb. Der Preisdruck entsteht nicht nur durch ausländische Firmen, sondern ist auch hausgemacht und auch im Baunebengewerbe extrem hoch. Ich würde mir wünschen, dass Renovationen von öffentlicher Hand nicht auf die lange Bank geschoben werden und schrittweise in Angriff genommen werden, und dass zum Teil Lücken im Gesetz des öffentlichen Auftragswesens (ÖAWG) gefunden werden, ohne es gleich zu umgehen. In Österreich gibt es eigene Ratgeber, wie kreativ Kommunen das ÖAWG umgehen können.

Brigitte Haas: Eine etwas andere  Anwendung finden klingt schöner als umgehen (lacht). 

Daniel Risch: Wichtig ist zu erwähnen, dass wir im vergangenen Jahr unterhalb des Schwellenwertes von 70 Millionen Franken 83 bis 85 Prozent der öffentlichen Aufträge an Unternehmen im Land vergeben konnten. Auch oberhalb des Schwellenwertes befinden wir uns in dieser Grössenordnung. Ich will aber nichts schönreden und daher darf man trotzdem kreativ sein, indem man gute Ideen hat und umsetzt.

Der Preiskampf bleibt aber und Baufirmen zerfleischen sich weiterhin gegenseitig? Beat Gasser: Es ist schön, dass Aufträge im Land vergeben werden, aber deswegen ist der Preis nicht besser. Wir haben eine hohe Unternehmerdichte in Liechtenstein – sei es bei den Planern oder den Ausführenden. Es wurde in den vergangenen 20 bis 30 Jahren viel gebaut und noch immer wird viel investiert, dennoch befinden sich die grössten Konkurrenten im Land. Früher gab es noch ein Punktesystem, dass Aufträge nicht an den Günstigsten gingen. Seit dem EWR ist das aber unmöglich, wobei ich mir schwer vorstellen kann, dass andere Länder wie Italien einen Staatsauftrag an ein Schweizer Unternehmen ge­ben. Die Baukosten sind in den letzten Jahren um 10 oder 15 Prozent gestiegen, doch das Bauunternehmen hat weniger im Sack am Schluss. Wir machen die Preise selber. 

Leidet dadurch die Qualität und Baupfusch lässt grüssen? Beat Gasser: Ja, das kann man nicht wegdiskutieren. Der Termin- und Preis­druck steigt, während die Bauvorhaben komplizierter werden.  Brigitte Haas: Das ist ein wichtiger Punkt, weil der Lehrlingsmangel trifft nicht nur die Baubranche, sondern auch die Industrie. Viele Jugendliche gehen einen schulischen Weg und denken gar nicht darüber nach, eine Lehre zu machen. Trotz Coronakrise gibt es aber gute Nachrichten für die Lehrlinge: Unsere Mitgliedsunternehmen nehmen gleich viel Lernende auf wie in den Jahren davor und der Einstellungsstopp gilt für sie nicht. Sie planen auch im kommenden Jahr, so viele Lernende zu beschäf­ti­gen. Wir glauben, dass sich der Standort wieder erholt und deswegen gibt es auch keine Entlassungen, sondern Kurzarbeit. Jene Firmen, die nicht alle gleichzeitig übernehmen können, planen eine Überbrückung und stellen diese Ende des Jahres ein, um sie auszubilden. Es freut mich, dass fast alle Viertklässler einen Ausbildungsplatz gefunden haben. 

Jürgen Nigg: Das ist extrem wichtig. Denn bereits vor der Krise herrschte schon ein grosser Fachkräftemangel, und eine hohe Jugendarbeitslosigkeit würde das Problem nur verschärfen. Wir müssen die jungen Leute dafür sensibilisieren, dass technische Berufe, aber auch die Baubranche spannend sein können.  

Wann wird sich die Wirtschaft vom Lockdown erholen? Daniel Risch: Das ist schwierig zu sagen. Wir versuchen aber die Wirtschaft, so gut es geht, über das Hilfspaket zu unterstützen. Bis Anfang Juni haben wir circa 18 Millionen Franken an die Unternehmen über das Hilfspaket ausbezahlt. Kurzarbeitsentschädigung kann rückwirkend abgerechnet werden und daher sieht die effektive Zahl vielleicht anders aus. 

Jürgen Nigg: Bei vielen Betrieben wird die Buchhaltung 2020 einfach nur schlecht aussehen. Es ist schwer zu sagen, wann sie sich davon erholen.

Trotz der Lockerungen nach dem Lockdown nimmt der Werkplatz erst langsam wieder Fahrt auf, während die wirtschaftlichen Folgen klarer werden. Wirtschaftsminister Daniel Risch, Jürgen Nigg als Geschäftsführer der Wirtschaftskammer, Brigitte Haas von der LIHK und Beat Gassner vom Baumeisterverband sprechen über die aktuelle Lage.

Zu lesen im Wirtschaftsregional am 19.06.20 (Bild Daniel Schwendener)